Ein Friedensbiotop in den Bergen

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Samira Amos, Biovision (Bild: Caroline Krajcir)

Im Berner Kiental liegt auf 960 Metern über Meer der Naturhof. Zwischen Niesen und Blüemlisalp bewirtschaftet ein Team zwei Hektaren Land nach den Prinzipien der Permakultur. Diese nimmt sich natürliche und lokale Ökosysteme als Vorbild und schafft geschlossene Kreisläufe.

Das Projekt «Naturhof» der Kientalerhof AG im Kurzporträt 

Der Naturhof produziert in hohen Lagen nachhaltig Nahrung für Menschen, wobei gleichzeitig wertvolle Lebensräume für Pflanzen, Tiere und Menschen geschaffen werden. Wer auf den Feldern des Hofs steht, erkennt rasch, wieso Melanie Adler und Samuel Kaess – beides Mitglieder des zehnköpfigen Naturhof Teams – den Hof liebevoll ihr «Friedensbiotop» nennt: Es summt und brummt friedlich im Garten, wo Kohlköpfe, Kürbisse und allerlei andere Sorten spriessen.

Bis vor einigen Jahren wurde am heutigen Standort des Naturhofs wie auf den umliegenden Höfen Graswirtschaft betrieben. Heute hebt sich der Hof markant von den umliegenden Weiden ab. Jetzt gedeihen auf dem Land über 50 Gemüse- und Kräutersorten, sowie Obstbäume und Gehölze. Damit bietet der Hof nicht nur den Pflanzen und Tieren einen wertvollen Lebensraum, sondern auch den Menschen. Der Begriff «Friedensbiotop» beschreibt auch die Einstellung, mit dem Melanie Adler und Samuel Kaess an das Projekt herangehen: Mit ihrer Präsenz sowie den diversen Bildungs- und Beteiligungsangebote tragen sie zu einer lebenswerten Umgebung und Aufwertung der Region bei.

Mehrere Packungen Tee vom Naturhof Kientalerhof. Bild: Caroline Krajcir

Biovision bietet mit der Rubrik «Beispiele für ein nachhaltiges Ernährungssystem» jenen Initiativen und Projekten in der Schweiz eine Bühne, welche ohne unsere Begleitung oder finanzielle Unterstützung ein nachhaltiges Ernährungssystem mitgestalten. Damit zeigen wir, dass zukunftsfähige Lösungen existieren und ein Wandel möglich ist.

Der Naturhof im Internet

Bewirtschaftung gemäss dem Vorbild der Natur

Die Prinzipien der Agrarökologie und die Gestaltungsgrundsätze der Permakultur gehen Hand in Hand und können sich gegenseitig befruchten. Bei der Bewirtschaftung setzt der Naturhof den Fokus auf die Diversität, die Lebendigkeit des Bodens, den Humusaufbau und das achtsame Wirken auf das Land, die Menschen und Tiere. Entsprechend trägt der Naturhof massgeblich zur Erhöhung der Ressourceneffizienz (Prinzip 1 und 2 in der Grafik) und zur Stärkung der Resilienz (Prinzip 3 bis 7) bei. Besonders hervorzuheben ist der neu angelegte Agroforst, der die Diversität auf dem Hof weiter erhöht, dem Boden wichtigen Halt gibt und bei Extremwetterereignissen widerstandsfähig ist. Was das Recycling (Prinzip 1) betrifft, könnte man den Naturhof auch «Kompostierhof» nennen: Das Team verwertet die anfallende Biomasse der Kientalerhof AG, wobei letztere ein vielseitiges Unternehmen ist, das neben einem Campus für Körpertherapie auch den Naturhof umfasst. Die Biomasse wird zu Kompost, zu Kleinstrukturen wie Asthaufen oder zu Mulch verwertet. Allerdings recycelt der Hof momentan kein Wasser und produziert keine eigene Energie.

Lokale Verankerung

Weiter zeichnet sich der Hof durch eine hohe Anschlussfähigkeit (Prinzip 11) aus. Unter den abwechslungsreich angelegten Flächen gibt es die Bereiche «Gemüse», «Kräuter» und neu «Agroforst» (2021 gepflanzt). Die Kräuter werden direkt auf dem Hof für Salze, Öle, Salben, Teemischungen und Weiteres verwendet. Der Hof bietet seine Lebensmittel entweder direkt am wöchentlichen Marktstand ab Hof zum Verkauf an oder liefert sie an die Seminarküche der Kientalerhof AG sowie den örtlichen Dorfladen. Denn: Die Permakultur will lokal verankert bleiben.

Gemeinsam Wissen schaffen und teilen

Neben dem Verkauf von Produkten hat der Naturhof ein breites Bildungsangebot, wodurch das Team zur gemeinsamen Wissensgenerierung (Prinzip 8) beiträgt. Melanie Adler und Samuel Kaess bieten gemeinsam mit ihrem Team vielfältige Aktivitäten an, wie beispielsweise Info-Anlässe, Wildkräuter-Ateliers oder Kurse, die etwa die Saatgutproduktion oder die Flächenrotte (Förderung des Bodenlebens, Aufbau von Hummus) zum Thema haben.

Biovision Naturhof B-ACT Grafik
Das Spinnendiagramm zeigt die Auswertung des Projekts «Naturhof der Kientalerhof AG».

So funktioniert die Bewertung mit B-ACT

Das B-ACT spiegelt die Ausrichtung von Unternehmen, Projekten und Initiativen an den 13 agrarökologischen Prinzipien des «High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition» (HLPE) wider (siehe «Agrarökologie kurz erklärt»).

Dabei ist jedes Prinzip in eines der drei übergeordneten Themen eingeordnet:

  • Erhöhung der Ressourceneffizienz
  • Stärkung der Resilienz
  • Sicherung der sozialen Gerechtigkeit

Zu allen Prinzipien wurden von Biovision in Zusammenarbeit mit Partner:innen Fragen erarbeitet, die in das B-ACT eingebaut wurden. Je mehr Fragen für eine Initiative oder ein Geschäftsmodell positiv beantwortet werden können, desto höher ist der Beitrag zu dem entsprechenden Prinzip.

Illustration des B-ACT Tools auf einem Computer.

Damit punktet das Projekt

  • Der Naturhof beherbergt eine hohe Vielfalt auf engstem Raum: Der Gemüse- und Kräutergarten sowie das Agroforstsystem zeichnen sich durch eine beeindruckende Anzahl an Sorten und Arten aus. Sie alle spielen im gesunden Ökosystem ihre Rolle. Dadurch lernen Melanie Adler und Samuel Kaess stetig, welche Anbaumethoden und Sorten sich trotz der kurzen Saison in den Bergen und den wechselnden Wetterverhältnissen am besten eignen – und produziert gleich selbst Saatgut. Trotz sehr kleinen Investitionen und einem kleinen Budget erntet das Team dadurch sehr viel.
  • Das Projekt befindet sich inmitten von Viehwirtschaft. Es fungiert als lebendiger Beweis, dass Gemüse in hohen Lagen im Einklang mit der Natur angebaut werden kann.
  • Neben seinem Vorbildcharakter bietet der Naturhof diverse Bildungsangebote an und trägt so dazu bei, Wissen gemeinsam zu generieren und zu verbreiten.
Das Team des Naturhof Kientalerhof. Bild: Caroline Krajcir
Das Team des Naturhof Kientalerhof (v.l.n.r.): Melanie Alder, Samuel Kaess, Matthieu Lenoir, Anja Röösli, Lorena Gorla, Marco Kauer. Bild: Caroline Krajcir.

Diese Herausforderungen bestehen für das Projekt

Der Naturhof ist vom Bund als Hobbybetrieb eingestuft und erhält daher keine Direktzahlungen. Obwohl das Schweizer Direktzahlungssystem eine nachhaltige und naturnahe Produktion fördern möchte, fallen Betriebe wie der Naturhof, die mit sehr wenig Geld viel zu gesunden Lebensräumen beitragen, durch das System. Der Betrieb erhält momentan von der Kientalerhof AG Unterstützung und möchte in Zukunft auf eigenen Beinen stehen können. Dennoch sind Melanie Adler und Samuel Kaess der Meinung, dass Direktzahlungen auch für solche Bewirtschaftungsformen offenstehen sollten, wenn ein Wandel hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem angestrebt wird.

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